Gerade, als er die Gestalt ganz rechts ins Visier nahm, drang ein langgezogenes Heulen an seine Ohren. Er hörte es nur ganz schwach, aber es verursachte ihm eine Gänsehaut, denn es kam aus Richtung der Hütte und irgendetwas Fremdes lag in dem langgezogenen, hohen Ton.
Mariam, dachte er und eine Welle der Sorge flutete seinen Geist.
Kurz sah er sie vor sich. Ihre Schlanke Gestalt, die neben seiner eigenen, baumartigen Erscheinungen fast schon zerbrechlich wirkte. Aber er wusste, dass sie nicht so zerbrechlich war, wie sie aussah. Dass sowohl ihr Geist als auch ihr Körper widerstandsfähiger waren, als sie wirkte. Trotzdem.
Sie war nicht in einem Zustand, in dem sie gerne allein gelassen hatte. Es war seine selbstgestellte Aufgabe, für sie zu sorgen. Weil er eine gebraucht hatte. Eine Aufgabe. Für sie und das Kind, dem sie bald das Leben schenken würde. Wenn sie es nicht schon getan hatte, hieß das. Eine Mischung aus schlechtem Gewissen und Erleichterung darüber, dass dies vielleicht geschehen sein mochte, während er noch unterwegs war um zu jagen und die er bereits früher gefühlt hatte, mischte sich zu der Sorge in seinen Gedanken.
Er musste diese Sache hier schnell zu Ende bringen. Schnell, ohne viel Brimborium. Er zwang sich, seine Gedanken zu fokussieren und legte erneut an.
Gottverdammter Mist.
Er hatte zu lange nachgedacht, zu lange gezögert. Dort unten, nur etwa acht oder zehn Meter abwärts war nur noch eine der Gestalten zu sehen. Das bedeutete, dass die beiden anderen entweder rechts oder links, oder auf beiden Seiten aus seinem Sichtfeld verschwunden waren und den Felsen bald flankiert haben würden.
#25tage25buecher #dystopie #buechersucht
Du wirst senil, Du dämlicher, alter Idiot, beschimpfte Rolf sich in Gedanken selbst, nahm hastig den Kopf der einen Gestalt, die er noch sehen konnte ins Visier und drückte den Abzug.
Der Schuss zerriss die Stille, gehörte nicht hierher. Das Echo hallte lang und grollend hin und her.
Die Gestalt, trotz der seltsamen Bewegungen, die ihm die Kategorisierung zusätzlich erschwerten, hielt Rolf sie für einen Mann, brach zusammen ohne einen weiteren Laut von sich zu geben. Der Speer entglitt ihren Händen, versank im Pulverschnee und war nicht mehr zu sehen. Speer und Axt sind noch übrig, ging es Rolf durch den Kopf. Ja genau. Zwei waren noch übrig. Einer mit einem Speer, einer mit einer Axt. Rolf drehte sich herum. Von wo würden Sie kommen? Welcher würde von links her angreifen und welcher von rechts?
Er lauschte, aber Wind und neuerliches Wolfsheulen machten es ihm schwer. Sollte er die Maschinenpistole auf Salvenmodus umstellen? Nein. Zu wenige der kostbaren Kugeln hatte er noch. Wie viele waren es? Fünf? Sieben? Er wusste es nicht mehr. Verdammt.
Er fühlte sein Herz in der Brust hämmern, unregelmäßig, aber stark, während er seinen Blick zur Seite und wieder zurück wandern ließ. Noch war keine der beiden übrigen Gestalten zu sehen. Rolf lockerte sein Messer.
Was war es, was er an den Bewegungen seiner Verfolger so merkwürdig gefunden hatte?
Sie waren geduckt gelaufen, so als würden sie jeden Moment damit beginnen wollen, auf allen Vieren zu gehen. Getan hatten sie das aber nicht. Es war nur eine winzige Andeutung in ihrem kollektiven Habitus, eine vage Assoziation, aber dennoch war sie Rolf aufgefallen. Er fand kein Wort dafür.
– Unlektorierte Erstversion
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