Der Operateur – Survival-Horror Online Lesen 3

Dem Operateur wird kalt, obwohl er schwitzt. Er fühlt sich müde.
Schon viel zu lange wach.
Schon viel zu lange nichts gegessen.
Denkbar ungeeignet.
Eigentlich sollte jemand anders diese Operation durchführen, aber er weiß, dass er es ist, der es tun muss. Es ist kein Arzt verfügbar. Er weiß auch, dass er nicht mehr allzu lange warten sollte. Mit jeder Minute, die verstreicht, wird der Patient schwächer.
Er bringt den Gurt an, führt die Stange durch die Schlaufe und beginnt zu drehen. Wenn er fertig ist, wird er die Schwester und den Assistenzarzt rufen. Der Herzmonitor sendet seine akustischen Signale jetzt in einer etwas höheren Frequenz aus. Ab jetzt darf er kein Mitleid mehr kennen. Weder mit seinem Patienten, noch mit sich selbst. Jedes Zaudern, jedes winzige Quäntchen von Schwäche kann am Ende dazu führen, dass der Patient stirbt. Er verdreht den Gurt, und mit jeder Drehung der Stange bäumt der Patient sich auf und schreit. Verhalten zuerst, dann immer lauter und hemmungsloser. Mit jeder Drehung der Stange wird der Schmerz stärker. Der Operateur stöhnt jetzt ebenfalls vor Anstrengung. Beinahe klingen die beiden Männer, als ob wilde Tiere miteinander kämpfen würden. Oder Ficken, denkt der Operateur. Dann überlegt er für den Bruchteil einer Sekunde, wie groß die Chancen auf Sex für einen Beinlosen wohl sein mochten.
Dann:
Was ist eine Frau ohne Arme und Beine?
Ein Bumsklumpen.
Galgenhumor.
Unangebracht und hässlich, aber er hilft ihm dabei, die nötige Distanz zu wahren.

#bibliophile #buecherwurm #bookshelf

Mehr, mehr, mehr. Mehr drehen und nicht auf die Schreie des Patienten achten.
Noch mehr drehen.
Der Gurt schneidet jetzt tief ins Fleisch hinein.
Ausreichend tief, um all die großen Adern fest genug zusammen zu pressen?
Tief genug, um erneut zu verhindern, dass der Patient verbluten wird?
Der Oberschenkel ist dicker als die Stelle unterhalb des Knies, an der die letzte Amputation durchgeführt worden war. Der Operateur schafft noch drei Umdrehungen. Mehr bekommt er nicht hin. Das muss reichen. Er fixiert die Stange und das Jammern des Patienten ebbt langsam ab. Auch der Operateur atmet jetzt ruhiger.
Man kann sich an so vieles gewöhnen. Der Mensch ist ein Wunder der Natur. Widerstandsfähiger, als man glaubt, macht der Operateur sich Mut. Die nötigen Schritte müssen jetzt schnell und präzise auf einander folgen. Er strengt sich an und ruft laut nach der Anästhesieschwester und dem Assistenzarzt. Er muss eine Weile auf sie warten und in dieser Zeit redet er beruhigend auf den Patienten ein. Automatisch abgespulte Floskeln, wie man sie eben gegenüber Patienten benutzt. Während sein Mund die Worte formt, denkt er sich an angenehmere Orte, will vergessen, dass er müde und hungrig ist und Angst hat, dass er versagen könnte.
«Nur ruhig. Sie werden sehen, es ist gleich vorbei.»
Zuhause, im kleinen Garten hinter dem Haus. Es ist Sommer. Die Kinder toben halb nackt mit Spritzpistolen und Wasserbomben. Unschuldig, wie im Garten Eden. Ein sachter Wind weht und spielt mit ihrem goldenen Haar.
«Wir kriegen das schon hin.

Eine Seite zurück
Zur vorherigen Seite
Als Taschenbuch kaufen?

Weiterlesen
Hier geht es weiter