Sie würde ihn dort drinnen nicht spannen können. Blieben ihr das Beil und das Messer. Sie legte den Bogen und auch den Köcher mit den Pfeilen ab. Dann ging sie in die Knie, um weiter in das Loch hinein zu leuchten. Sie revidierte ihre erste Einschätzung.
Das Loch war zwar nicht groß genug, um Pfeil und Bogen benutzen zu können, aber es war größer, als dass es eine Wölfin oder auch ein ganzes Wolfsrudel gegraben haben könnte und es sah weiter hinten auch zu regelmäßig aus. Zu menschgemacht.
Ein Grauen erfasste Mariam, das ganz anders war, als all das Grauen, das sie bisher an diesem grauenhaften Tag gefühlt hatte, als sie sah, dass einige Meter hinter der organisch aussehenden Öffnung heller Beton und ganz oben an der Wand Leitungen zu sehen waren, die nach links und zur Seite hin weg verliefen. In diesem Moment glaubte sie etwas zu begreifen, was sie bislang nicht hatte begreifen können.
Sie hob ihre Pfeile und ihren Bogen wieder auf. Wohin auch immer dieser noch unbestimmte, dieser noch vage und formlose Gedanke sie führen würde – jetzt, in diesem Moment war nur eines wichtig, nämlich ihr Kind wiederzubekommen und diesen Gedanken musste sie von sich fortschieben, weil er sie behindern würde, wenn sie es nicht tat.
Mariam zwängte sich durch den Eingang des Wolfsbaus.
Als sie nach wenigen Metern den festen, eindeutig von Meschenhand erbauten Teil erreichte und den Blick den Gang und die Leitungen entlang nach links wandern ließ, riss sie ein langezogenes Heulen von den Füßen, das ihre Ohren und ihren Geist gleichermassen gewaltsam erfüllte.
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Kein Gedankenschlag. Dennoch unglaublich stark und intensiv.
Mariam fühlte, dass der tierische Ruf nicht ihr gegolten hatte, fühlte ihn wie eine Welle über sich hinwegziehen, aus dem Bau heraus und in die Weite der Berge hinein. Sie brauchte einige Sekunden, bevor sie sich wieder Bewegen konnte, und während sie sich bereit machte, weiterzugehen, hörte sie die anderen Wölfe aus der Ferne antworten.
ROLF
Was war das? Dieses hohe, heulende Echo, das an Rolfs Ohren gedrungen war?
Es hatte ihn doch dazu verleitet, den stetigen Takt seiner Schritte zu unterbrechen, den Gamsbock fallen zu lassen, stehen zu bleiben und sich beinahe schon ängstlich nach allen Seiten hin umzusehen. Dabei war es nicht mehr weit. Er konnte die Hütte schon sehen. Naja, nicht wirklich die Hütte, aber doch den schwachen Lichtschein, der einige hundert Meter vor ihm die Dunkelheit erhellte und der von Mariams Feuer kommen musste.
Gut.
Vielleicht hatte er die Pause auch einfach gebraucht. Der letzte Kilometer, den er im Dunkeln vor sich hingestapft war, ohne den Boden sehen zu können, auf den er seine Füße setzte, war unglaublich anstrengend gewesen. Der schwache Lichtschein aus der Hütte und die nur schwache Reflektion des Lichtes des Mondes und der Sterne auf seiner schneebedeckten Umgebung erlaubten keine wirkliche Sicht. Es war mit einem Mal sehr schnell dunkel geworden, fast so, als hätte die Sonne sich vor etwas erschreckt und wäre geflohen.
Unter Ächzen und Stöhnen hob Rolf seine Jagdbeute wieder auf, und lud sie sich auf die Schultern. Er wollte weitergehen, aber noch bevor er den nächsten Schritt machen konnte, wurde das Heulen erwidert.
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