Der Blick der gelben Augen fraß sich tastend in Mariam hinein. Mariam konnte spüren, wie sich die mentalen Fühler des Tieres nach ihrem Geist ausstreckten.
Nicht weg. Kind. Meins.
„Nein“, sagte Mariam erneut laut, aber im Knistern des Feuers, im Weinen ihres Sohnes, das aus dem Schränkchen drang und im Knurren der Wölfin klang es leise. Dennoch war Mariam sich sicher, dass ihre Worte von dem Tier verstanden worden waren.
Kannst nicht haben. Kind. Meins, dachte Mariam
Jetzt schrie sie.
„Nein! Nicht Deins! Meins!“
Endlich konnte Mariam sich wieder bewegen. Sie wusste nicht, was in ihrem Kopf passiert war, wusste nur, dass etwas passiert war. Sie ließ die Schrotflinte fallen, griff nach ihrem Bogen neben sich auf dem Bett, auf dem sie sich in einer ganz ähnlichen Pose wie die der Wölfin auf den Knien aufgesetzt hatte, ohne sich daran erinnern zu können. Ihre Finger fanden die Waffe.
Das große Tier ließ sie gewähren, sah Mariam ruhig und gelassen dabei zu, wie sie auch einen Pfeil ertastete und auf die Sehne regte. Aber als Mariam den Bogen spannen wollte, traf sie ein neuerlicher Gedankenschlag mit einer gnadenlosen Gewalt, der sie nichts entgegenzusetzen hatte.
Du. Mensch. Schuld. Kind. Meins. Leiden.
Zorn, Hass und Abscheu lagen in einer solchen Konzentration in diesen Gedanken, dass Mariams Geist kapitulierte. Ihr war, als würde ihr Herz stehen bleiben, als würden ihr alle Knochen im Leib gebrochen, als würde ihr Fleisch von innen heraus von tausend spitzen Zähnen zerrissen werden.
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Dann nichts mehr.
* * *
Schmerz und Kälte waren die ersten Empfindungen, die Mariam fühlte. Erst dann kam der Schock. Ein Schock, der noch grausamer und gnadenloser war als der letzte, lautlos ausgeführte, Gedankenangriff der Wölfin.
Das Schränkchen?
Zertrümmert.
Nein!
Mein Kind?
Weg.
Darf nicht sein!
Blut?
Ja.
An ihren Händen. In ihrem Gesicht. Erneutes Nasenbluten. Aber in der Hütte?
Sie setzte sich auf, noch immer auf dem Bett und ignorierte die Schmerzexplosion, die die Bewegung in ihrem Kopf verursachte. Im Vergleich zu dem, was das Tier mit ihrem Kopf gemacht hatte und was es ihr danach angetan hatte, konnte man diesen körperlichen Schmerz absolut vernachlässigen. Er fiel nicht ins Gewicht. War egal.
Das Tier war nicht mehr da. Auch Mariam Sohn nicht mehr. Eisig kalter Wind zog in die Hütte herein und das noch immer schwach brennende Feuer im Ofen konnte ihm nichts entgegensetzen. Aber es brannte noch. Lange konnte sie also nicht weg gewesen sein.
Mariam stand auf, ihr ganzer Körper schmerzte. Sie brauchte einen Moment, bis sie ihr Gleichgewicht wieder fand, bis die Welt, ihre kleine, von der Hütte begrenzte Welt damit aufhörte, sich um sie herum zu drehen.
Gnade. Die Wölfin hat mich nicht getötet. Sie ist mir gnädig gewesen.
Noch während Mariam die Falschheit dieser Gedanken langsam ins Bewusstsein tröpfelte, setzte sie sich in Bewegung. Dadurch, dass sich das Tier nicht mehr in Ihrer Nähe befand, fühlten sich die Bewegungen, die einzelnen Handgriffe nicht mehr an, als wären Mariams Glieder mit Blei gefüllt.
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